15 September 2010

Reise zu den Kindern nach Suto Orizari







Die erste außerordentliche Aktivität der im April gegründeten non-profit Organisation „Football and Roma“ (FaR), war die Entsendung ihrer beiden Trainerinnen Saskia und Ines nach Suto Orizari, auch Shutka genannt. Shutka ist die größte Roma Gemeinde weltweit, es leben dort rund 35000 Roma und sie liegt am Rande der Hauptstadt Mazedoniens, Skopje. Die Reise fand im Rahmen der Vorbereitungen eines Fußballprojektes statt, das von FaR gemeinsam mit der dortigen NGO „Ambrela“ im Rahmen eines EU-Projektes organisiert und dort durchgeführt werden soll.

Auf dem Programm des dreitägigen Aufenthalts standen außer Meetings mit den drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen von „Ambrela“, die Erkundung der dortigen Verhältnisse und vor allem die Durchführung zweier Trainingseinheiten.

Freitag, 27. August

Während der drei Tage unseres Aufenthaltes in Suto Orizari wohnten wir bei einer Roma Familie, zwei Gehminuten vom Zentrum Shutkas entfernt. Die Familie lebt in einem geräumigen Haus und beherbergt oft Touristen oder die Freiwilligen, die für einige Monate die Arbeit der Organisation „Ambrela“ unterstützen.

Das Büro von „Ambrela“ befindet sich im gleichen Haus und dort trafen wir Ljatife, Mitarbeiterin von Ambrela. Sie schoss in den 90ern fünf Jahre lang Tore für eine Oberligamannschaft in Deutschland, wo sie auch Jugendfußballmannschaften trainierte. Außerdem spielte sie in der Türkei Handball, besitzt eine Lehrerausbildung und gründete die erste Frauenfußballmannschaft Mazedoniens (die Spielerinnen waren Roma und Nicht-Roma; leider existiert die Mannschaft heute nicht mehr). Trotz ihrer guten Ausbildung und Erfahrungen hat sie nie eine Anstellung als Sportlehrerin - ihr erlernter Beruf und ihre Berufung- bekommen können. Sie orientierte sich um und arbeitet nun seit vielen Jahren mit zwei weiteren Frauen, Aida und Gordana zusammen, die schließlich vor drei Jahren die NGO „Ambrela“ gründeten. Hier kann sie nur noch sporadisch das machen, was ihr am meisten Freude bereitet - Kindern und Jugendlichen Sport, vor allem Fußball, zu vermitteln. Allerdings scheint sie in ihrer jetzigen Aufgabe voll aufzugehen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen haben sie einen Hort auf die Beine gestellt, wo die Kinder nach der Schule Hausaufgabenbetreuung bekommen, unterrichtet werden und Freizeitangebote nutzen können.

Ljatife nimmt uns mit zu einem Erkundungsgang durch die Stadt und versucht, uns etwas von der Kultur der Roma, aber auch von deren Diskriminierung zu erzählen. Es ist eine Menge auf den Straßen los, die meisten sind junge Erwachsene im heiratsfähigen Alter (das sich zwischen 14 und 18 Jahre bewegt). Der Lärmpegel ist hoch, viele Musikanlagen sind angeschaltet. Wir besichtigen außerdem das „Stadion“, auf dem gerade die erste Herrenmannschaft trainiert. Auf dem einzigen richtigen Fußballplatz der Stadt müsste dringend ein neuer Rasen verlegt, Netze in den Toren angebracht werden und Linien gezogen werden. Es liegt auch Müll herum; im Gegensatz zu deutschen Verhältnissen ist der Zustand desolat. Trotzdem meint Ljatife, dass es schon besser geworden wäre, da die Erste Mannschaft versucht, den Platz sauber und bespielbar zu halten. Ljatife’s Ziel ist es, den Sportplatz zu sanieren und Jugendteams aufzubauen. Diese Jugendmannschaften gab es früher einmal- der einzige Roma- Verein Mazedoniens konnte sie sich aber aus finanziellen Gründen nicht mehr leisten.

Samstag, 28. August

Nach dem Frühstück wird das neue „Education Center“ besichtigt (der Hort, den „Ambrela“ betreibt). Das Gebäude des alten Horts brannte bis auf seine Grundmauern komplett ab. Die Menschen von Shutka verbringen viel Zeit draußen. In den engen Straßen trifft man beschäftigte Mütter oder Mädchen, die Hausarbeiten, wie zum Beispiel waschen, erledigen, spielende Kinder und in Gespräche vertiefte oder an Autos schraubende Männer. Häufig hören wir „Ljatife“-Rufe und strahlende Kinderaugen, die die engagierte Sportlerin erspäht haben. Manchmal kommt jemand zu ihr, um sein Leid zu klagen. Saskia und ich werden oft mit „Hallo“ oder “Hello“ angerufen. Trotz unserer gegenteiligen Bemühungen, fallen wir anscheinend auf. Viele der Roma in Suto Orizari, vor allem die, die man im August dort treffen kann, leben und arbeiten in Ländern wie Italien, Deutschland oder Frankreich und haben deshalb ein geschultes Auge für Auswärtige und deren Herkunft. Am Ende unseres dreitägigen Aufenthaltes sollten wir auf einem guten Weg sein, ähnlich bekannt zu sein, wie Ljatife. Die zahlreichen Kinder in unserer Straße wussten schon von Anfang an über uns Bescheid und grüßten immer fröhlich. Viele andere Kinder lernten wir dann durch das Training kennen oder sie hörten davon, so dass wir immer wieder Kinder treffen, die uns zuwinken oder die ihre Hand zum Abschlagen ausstrecken und wissen wollen, wann denn die nächste Trainingseinheit stattfinden würde.

Um 17 Uhr findet das erste langersehnte Training statt. Mit Bällen beladen machen wir uns auf den Weg zur Schule - das Training soll dort in der Turnhalle stattfinden. Auf uns warten dort ungefähr 25 aufgeregte 7 bis 10-jährige Kinder, davon drei Mädels. Ljatife lässt sie in einer Reihe sitzen und jeder soll sich vorstellen. Es sind sogar ein paar Zidanes, Ronaldinhos und Villas unter ihnen. Ljatife stellt uns vor und stimmt die fußballbegeisterten Kinder anschließend mental auf das Training ein. Zu Beginn teilen wir die Meute in zwei Gruppen ein. Leider kann Ljatife nur bei einer Gruppe die Übersetzerin spielen. Mit meiner Gruppe verständige ich mich mit Händen und vor allem mit den Füßen. Die Kinder sind jedoch hoch motiviert und übertreffen sich im Erraten, so dass eine neue Übung immer nach kurzer Zeit begonnen werden kann. Beim Abschlussturnier spielten die drei Mannschaften Milan, Barcelona I und Barcelona II mit vollem Einsatz um die Ehre.

Sonntag, 29. August

Am Sonntagmorgen nach dem Frühstück erkunden wir den großen und bekannten Markt von Shutka, für den Besucher anscheinend aus dem ganzen Land anreisen.

Das zweite Training findet an diesem Nachmittag im „Stadion“ statt. Trotz unseres gestrigen Einwandes, dass es mehr Sinn machen würde, kleine Gruppen zu bilden, wollte Ljatife so vielen Kindern wie möglich eine Trainingseinheit mit den deutschen Gasttrainerinnen ermöglichen. Diesmal waren es fast vierzig Kinder. In Zweier-Reihen prozessierten wir durch die Straßen, um vom Education Center zum „Stadion“ zu kommen. Die Bewohner, die uns vorbeikommen sahen, unterbrachen ihre Tätigkeit, Kinder winkten uns zu und Leute riefen uns an.

Die Kinder haben während des Trainings trotzdem ihren Spaß, was man auf dem Videoclip selber gut beobachten kann.

Montag, 30. August

Morgens treffen wir Ljatife zur Verabschiedung vor der Schule. Dort haben wir die Gelegenheit, die Ankunft und Entladung eines LKWs zu beobachten, der eine Hilfslieferung aus Slowenien mit Schultischen und anderen Einrichtungsgegenständen enthält. Wir haben volles Verständnis für ihre Zeitknappheit, gibt es doch viel zu tun und helfen in Suto Orizari, wegen der extremen Arbeitslosigkeit (90 Prozent) und schlechten Infrastruktur. Jemanden wie Ljatife und ihre Kolleginnen, die sich vor allem für die Ausbildung der Kinder und für ihre Anliegen, sowie deren von Frauen einsetzt, ist Gold wert. Wir wollen nicht länger im „Weg stehen“ und verabschieden uns, um unsere Rückreise nach Deutschland anzutreten - fest mit dem Ziel vor Augen, den Einsatz von „Ambrela“ zugunsten der Kinder und ihren Familien zukünftig dadurch zu unterstützen, dass wir von deren Situation und Erfolge berichten und mithilfe unserer Organisation „Football and Roma“ (FaR) finanzielle Mittel auftreiben.

Die NGO Ambrela (www.ambrela.org.mk) bietet vor allem Sozialarbeits- und Lehramtsstudierenden die Möglichkeit, bei ihnen einen Freiwilligendienst/Praktikum zu absolvieren.

Wer Interesse an einem ungewöhnlicheren Urlaubsziel hat, kann bei der Familie von Pika in Suto Orizari vorbeischauen und dort wohnen. Informationen darüber gibt es ebenfalls bei Ambrela. ambrelaoffice@gmail.com

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